10 September 2006

Kritik an "Christiansen" und eine beleidigte Leberwurst


Quelle: gerenm (cc)

"Sabine Christiansen" ist ohne Zweifel ein faszinierendes Medienphänomen: eine Sendung, die vorgibt, sich politische Meinungsbildung auf die Fahne geschrieben zu haben, tatsächlich aber nur eine Plattform für professionelle Selbstdarsteller ist, die seriös klingendes Geplappere und künstlich erzeugte "Debatten" zum Besten geben. Politische Information wird so gut wie nie vermittelt, Argumente werden nicht diskutiert sondern bestenfalls in den Raum gestellt.

Die Positionen sind schon zu Beginn verteilt und im Hinblick auf den obligatorischen Spannungsbogen wunderbar austariert. Da gibt es neben den unverzichtbaren aktiv handelnden und von der Berliner Front berichtenden Politikern - aus Gründen der politischen Neutralität und für jedermann leicht durchzuführenden Überprüfbarkeit setzt man nicht auf Qualität sondern ideologische Ausgeglichenheit - das breite Spektrum der professionellen Politik-Adressaten - mittelständische Unternehmer, Krankenschwestern, Apothekenbesitzer - und das noch größere Angebot an professionellen organisierten Politik-Adressaten wie Gewerkschaftsvertretern oder Vorsitzenden des Elternbeirats. Besonders wertvolle Beiträge leisten üblicherweise die kleinen Männer und Frauen von der Straße, solange sie behutsam an das Medium Fernsehen herangeführt werden, nicht zu oft zu Wort kommen und am besten nur dann gefragt werden, wenn sie so wenig Ahnung von der Thematik haben wie Moderatorin und Publikum zusammen. Für einen reibungslosen Ablauf des Abends sorgen jedoch hauptsächlich journalistische Kollegen, die nicht nur nahezu unbemerkt die Dramaturgie der Sendung durch ihr beherztes Eingreifen garantieren, sondern sich auch als eine Art selbstloser Anwalt des Bürgers verkaufen. Wissenschaftliche Experten und professionelle Deutungsonkel sind ein zweischneidiges Schwert, weil sie oft genug naiverweise glauben, es käme wirklich auf rationale Diskussionen und ernsthafte Argumente an, und damit gefährden sie den eigentlichen Sinn und Zweck der Sendung: Möglichst jeder Zuschauer soll sich mit seinen oft genug verqueren und absurden Ansichten wiederfinden, um am nächsten Morgen genau jene Argumente parat zu haben, die ihm in sein Weltbild passen.

Das ist wahrlich nichts Neues und durch unzählige Seminar- und Magisterarbeiten bestens belegt. Gleichzeitig ist die Sendung populär wie kaum ein anderes Politik-Magazin, und viele Bürger sind allen Ernstes der Meinung, diese Sendung sei wichtig und Politiker könnten aus diesen medialen Schaukämpfen lernen. So kamen Wolfgang Darschin und Camille Zubayr in ihrer Untersuchung zum Thema "Politische Diskussionssendungen und Magazine im Urteil der Zuschauer" zu folgenden Ergebnissen (media perspektiven-Artikel als PDF hier):
Politische Diskussionssendungen werden von den Fernsehzuschauern in Deutschland außerordentlich wohlwollend beurteilt, wobei "Sabine Christiansen", der "Presseclub" und "Berlin Mitte" am besten abschneiden. Nach den Ergebnissen des ARD/ZDF-Trends vom Winter 2001 liegt der Hauptgrund für die Akzeptanz dieser Sendungen in der Prominenz der Diskussionsteilnehmer und in der Aktualität der diskutierten Themen. Fast genau so wichtig für die Akzeptanz der Diskussionssendungen ist ihre Forumsfunktion, die es ermöglicht, die wichtigsten Ansichten zu einem Thema zu verfolgen. Und schließlich spielt die Glaubwürdigkeit und Sachkompetenz der Moderatoren dabei eine wichtige Rolle. (Herborhebungen nicht im Original)
Bleibt nur am Rande zu erwähnen, dass die Zeitschrift "media perspektiven" von den öffentlich-rechtlichen Sendern finanziert wird und auf eine gewisse Art und Weise Auftragsforschung betreibt - kein Wunder, wenn Privatsender üblicherweise nicht gut wegkommen. Wer noch spezieller in die Materie einsteigen will, dem sei der Artikel "Die Moderation politischer Gesprächsrunden im Fernsehen. Eine Inhaltsanalyse von "Sabine Christiansen", "Berlin Mitte", "Presseclub" und "19:zehn" von Tanjev Schultz in "PUBLIZISTIK. Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung", Heft 3/2004, S. 292-318, empfohlen.

Talkshow-Geblubbere ist natürlich im Hinblick auf die tatsächliche Bedeutung für real stattfindende Politik völlig irrelevant und genauso absurd wie der populäre Mumpitz, im Bundestag würden sich Abgeordnete ihre Meinung bilden bzw. wichtige Entscheidungen würden dort gefällt werden. Menschen, die keinen blassen Schimmer von der Arbeit von Ausschüssen haben, nicht wissen, wie ein Parlament funktioniert und was der Unterschied zwischen Fraktionen und Parteien oder zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen, sollte man das nachsehen. Dass Politiker diesen Quatsch allerdings nicht öffentlich richtig stellen, ist da deutlich beängstigender.

Nun hat es jemand tatsächlich gewagt, öffentlich "Sabine Christiansen" zu kritisieren. Lobby Control hat in ihrer Studie "Schaubühne für die Einflussreichen und Meinungsmacher - Der neoliberal geprägte Reformdiskurs bei 'Sabine Christiansen'" darauf hingewiesen, dass systematisch bestimmte Themen vernachlässigt werden, politische ökonomische Positionen unterrepräsentiert sind bzw. eine gewisse politische Stoßrichtung forciert wird. Weiterhin würde man die fachlichen und politischen Hintergründe vieler Gäste nicht erwähnen, wodurch sich Zuschauer kein eigenes Bild über die Neutrität machen könnten. Eine Kurzfassung der Studie findet sich als PDF hier.

Nun ist diese Kritik - neutral betrachtet - in gewissem Sinne naiv und auch übertrieben; jedenfalls dann, wenn man die Idee vertritt, dass es so etwas wie eine repräsentative Auswahl der Gäste überhaupt geben kann und auch sollte. Dennoch: Viel wichtiger und auf jeden Fall positiv hervorzuheben ist, dass es endlich jemand auch öffentlich und nicht nur im akademischen Bereich wagt, der ehemaligen Flugbegleiterin ans Bein zu pinkeln. Die "Zeit" beispielsweise griff den Fall auf und die echauffierte Reaktion der Produktionsgesellschaft lies erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten. Wie ein Hund, dem jemand auf den Schwanz getreten ist, spricht man abstrakt von "falscher Datenbasis und realitätsferner Interpretation" und nennt die methodische Vorgehensweise "Fliegenbeinzählen". Das ist nun ein recht armseliges Erwidern und eigentlich unter jedem Niveau. Die Antwort von Lobby Control fällt entsprechend kurz eindeutig aus.

Darf man hoffen, dass damit ein "kritischer Dialog" angestoßen wurde, eine "Debatte, die uns alle betrifft" und bei der "jeder mitreden muss". Was sagt eigentlich die Politik dazu? Um Himmels willen, bitte keine Debatte bei "Christiansen" oder "Maischberger"...

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