25 August 2006

Demographische Panikmache


Quelle: bullish1974 (cc)

Schreckensmeldungen wirken besonders bedrohlich, wenn mit vermeintlich handfesten Zahlen und Statistiken herumjongliert wird. Allerdings verfügen die meisten populären Autoren wie ihre Leser bestenfalls über die Mathematikkenntnisse eines Oberstufenschülers. Bestes Beispiel hierfür sind die mehr als fragwürdigen Alarmmeldungen über die angeblich drohende demographische Katatstrophe in good old Germany.

Konkret wollte ein bestimmter FAZ-Schöngeist, der Germanistik, Anglistik, Literatur und Philosophie studiert hat, noch einmal einen echten Bestseller landen. Daran ist natürlich nichts auszusetzen, allerdings dürften die wenigsten seiner Leser wissen, dass schon sein Vorgängerwerk beim fachkundigen Publikum auf wenig Gegenliebe gestoßen war und entsprechend hart die medial kaum wahrgenommene Kritik am neuen Buch (z.B. hier) ausfiel. Was dann kam, kennt man allerdings nur zur Genüge. Jede publizistische Pappnase hängt sich an den allgemeinen Trend, ein großes Boulevardblatt spekuliert über das Aussterben der Deutschen spätestens im Jahre 2300, Politiker geben zumeist belangloses Zeugs von sich, und der mit der Materie vertraute Leser hofft, dass bald die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird bzw. dass der eine oder andere Leser gelassen Erich Kästners "Patriotische Bettgespräche" liest.

Anscheinend ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass man sich einmal in Ruhe mit der Materie befasst. Seriöse Schätzungen gab es übrigens schon im Jahre 2003, als das Statistische Bundesamt seine 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung für das Jahr 2050 (!) vorstellte (PDF). Demnach wird die Bevölkerungszahl im Jahre 2050 zwischen 67 und 81 Millionen betragen. Zur Erinnerung: Ende 2000 hatte Deutschland 82,3 Millionen Einwohner und damit etwa 22,5 Millionen mehr als kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. "Der Spiegel" - keineswegs populistischem Alarmismus abgeneigt - stellt kurz und schmerzlos die Fakten zusammen. Da haben auf einmal nicht mehr 40 Prozent aller Akademikerinnen keine Kinder mehr, sondern schätzungsweise nur 25 (was "Die Zeit" allerdings schon vor einem Jahr richtig stellte), und mit dem deutschen Schlusslicht in Sachen Fertilität ist's auch nicht weit bestellt. Man kann es nicht of genug wiederholen:
"Auch für die Sozialsysteme führten wachsende Zahlen an Rentnern und eine schrumpfende junge Generation nicht automatisch zum Kollaps. Problematischer für die Sozialkassen sei die hohe Arbeitslosigkeit."

So ist es heute und vermutlich auch im Jahre 2050 mit kontinuierlich an veränderten Arbeitsmärkten angepassten Sozialsystemen: Der demografische Wandel - vom Gespenst und Mythos zur Chance (PDF). Und um an dieser Stelle gleich beliebtes linkes bzw. rechtes "Allgemeingut" in Frage zu stellen: Weder ein forcierter Zuzug von Ausländern (kritisch: PDF) noch eine "gesteigerte Gebährleistung" einheimischer Frauen (kritisch: PDF) kann nach Meinung seriöser Ökonomen einen substanziellen Beitrag zum Rentensystem leisten. Nichts gegen Ausländer und Frauen mit Kindern - vermutlich haben wir von beiden Gruppen zuwenig in einem modernen Deutschland. Aber bitte nicht als angebliche "Notwendigkeiten" ideologischer Politik. Das ist nicht nur ziemlich zynisch, sondern funktioniert so nicht.

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